Vielen ist er noch in Erinnerung, der Streit um die Aberkennung des UNESCO-Welterbe-Titels für das Dresdner Elbtal. Als eine von verschiedenen Einschätzungen war zu hören, dass die Aberkennung dieses Titels eine überzogene Reaktion sei, da dieses Bauwerk nur einen relativ schmalen Strich innerhalb des 19 Kilometer langen Welterbegebietes darstellen würde. – Formal ist das richtig. Sie ist 34 Meter breit und nimmt damit weniger als 2 des Welterbegebietes in Anspruch. Wenn dieser Eingriff so unbedeutend ist, warum erregt er dann so stark die Gemüter und führte zur Aberkennung dieses renommierten Titels.
Ist die Beschränkung auf die physische Größe bei ihrer Bewertung vielleicht zu eng gefasst? Mit diesem Artikel möchte ich mich dieser Frage ein wenig nähern. Immerhin ist dieses Projekt bestens geeignet, verschiedene Fragen der Stadtentwicklungsplanung zu erörtern.
Zunächst muss geklärt werden, was eine Welterbestätte ist und warum das Dresdner Elbtal diesen Titel erhalten hat.
Eine UNESCO-Welterbe ist ein Denkmal, ein Ensemble, eine Stätte Naturgebilde, geologische oder physiographische Erscheinungsform oder Naturstätte von außergewöhnlichem universellem Wert. Zu unterscheiden sind Kulturerbe- und Naturerbestätten. Bei Welterbestätten, wie dem Dresdner Elbtal, liegt eine besonderer natürlicher und kultureller Wert in der Einheit vor. Anlass, diesen Titel zu schaffen, war die Versenkung des Tals der Könige durch den Bau des Assuan-Staudamms, offenbarte dieses Projekt doch, wie gefährdet zahlreiche Kulturgüter durch die Errichtung von Infrastrukturbauten oder die Ausweitung des Menschen auf dem Erdball ganz allgemein sind.
Im Dresdner Elbtal kommen verschiedene kulturelle und natürliche Aspekte zusammen, wie man sie in dieser Dichte und Ausprügung eher selten vorfindet.
Sachsen, mit seiner Hauptstadt Dresden, war eines der sieben Kurfürstentümer des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, und damit in der europäischen Politik eine wahrgenommene Größe. Spätestens seit August dem Starken spielten Hochkultur und Kunst eine wichtige Rolle. Er begann, im Elbtal verschiedene Orte zu schaffen, die noch heute als Kulturstätten besonderer Schönheit wahrgenommen werden – Schloss Pillnitz, der Zwinger, das Japanische Palais und Schloss Übigau seien hier als die wichtigsten dieser Zeit genannt.
Schlösser, Burgen, Kirchen und andere Einzelauwerke besonderer Schönheit gibt es zahlreiche auf dieser Welt. Eine Welterbestätte lässt sich damit noch nicht begründen. Das besondere in Dresden ist die besondere Einbeziehung des Flusses mit der umgebenden Landschaft in das kulturelle Leben und die künstlerische Gestaltung des Elbtals. Bei der Gestaltung wurde zumindest in seiner Zeit großmaßstäblich gedacht. Die Endpunkte seines Canal Grande – Schluss Übigau und Schloss Pillnitz – liegen immerhin 16 Kilometer auseinander.
Eine Besonderheit, wenn nicht die Besonderheit Dresdens schlechthin, ist, dass die Flussaue in weiten Teilen unbebaut blieb. Die Gründe dafür sind wohl eher dem Umstand geschuldet, dass die Elbe immer wieder Hochwasser mit sich bringt als einem besonderen künstlerischen Wollen. Das Ergebnis ist eine unbebaute Flusslandschaft mitten in einer Großstadt von ungewöhnlicher Größe. Die sich daraus ergebenden besonderen Raumerlebnisse und Blickbeziehungen fallen vielen Menschen auf, wenn sie das erste mal hierher kommen.
Und mit dem Stichwort Raumerlebnis ist man bei einem zweiten Aspekt der empfindlichen Beeinträchtigung des Welterbegebietes durch diese nur 2 angekommen.
Das 18 Kilometer lange Welterbegebiet gliedert sich durch Flussbiegungen, Brücken und markante Bauten in eine Abfolge von Räumen sehr unterschiedlicher Qualität. Den Höhe- und Mittelpunkt dieser Raumfolgen stellen zweifelsfrei die Flussräume mit unmittelbarer Sichtbeziehung zur Dresdner Altstadt mit seiner „Stadtkrone“ der Frauenkirche dar.
Der Blick vom Japanischen Palais zur Frauenkirche, der sogenannte Canalettoblick, ist schon beeindruckend. Sehr viel ergreifender ist jedoch der sogenannte Waldschlösschenblick. Man steht auf der Anhöhe der Loschwitzer Weinberge, der überschaubare Elbbogen ist über fünf Kilometer lang, die Flussaue ist mit über 700 Metern so breit wie sonst nirgends weit und breit. Die Stadt liegt einem in diesem riesig wirkenden Raum zu Füßen.
Durch die Ausmaße und den ergreifenden Anblick der Stadt fühlt man sich groß und erhaben. Nicht umsonst kamen Friedrich Schiller an diesem Ort die Worte „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken himmlische Dein Heiligtum.“
Inwieweit sich dieser Ort noch wie ein Elysium anfühlt, an dem man erhabene Freude empfindet und in der heiligen Stille des Ortes Götter und Engel hört, soll jeder für sich selbst erspüren. Es ist ja auch unstrittig, dass jeder Mensch Orte und Situationen unterschiedlich wahrnimmt und bewertet.
Als weiterer landschaftlicher Aspekt kommt an dieser Stelle hinzu, dass zwischen der Albertbrücke, welche die Grenze der Innenstadtbereiche markiert, und dem Umland keine Brücken oder dicht bebaute Siedlungsbereiche vorhanden waren. Dadurch konnte das natürlich geprägte Umland bis weit in die Innenstadt hineinwirken.
Blickte man von der Albertbrücke stadtauswärts sah man vor allem den Fluss und dahinter einen bewalteten Berg. Nachts sah man die Dunkelheit. Die Geräuschkulisse war von natürlichen Geräuschen dominiert, Motorengeräusche spielten eine untergeordnete Rolle.
Blickt man heute dagegen in dieselbe Richtung, ziehen Autos, als sich bewegende Objekte, die Aufmerksamkeit auf sich. Besonders stark merkt man dies nach Sonnenuntergang, wenn sich die Beleuchtung kilometerweit im Wasser spiegelt. Das Bauwerk wirkt wie eine Jahrmarktsbude, da die Autos vor der im Handlauf befindlichen Lichterkette hin- und herfahren. In Summe ist der Elbbogen durch die Waldschlösschenbrücke so stark von Urbanität und Verkehr dominiert, dass er bestenfalls als innerstädtische Grünfläche, nicht jedoch als natürlicher Landschaftsraum mit Verbindung zum Umland wahrgenommen werden kann. Die Wahrnehmbarkeit des Umlandes ist durch dieses Bauwerk um mehrere Kilometer in Richtung Stadtrand verschoben worden.
Im Themenstadtplan der Stadt Dresden, unter der Rubrik Straßenverkehrslärm, zeigt sich diese Veränderung anhand gemessener Werte sehr deutlich [1]:
Die Waldschlösschenbrücke ist in erster Linie ein Verkehrsbauwerk. Der verkehrliche Wirkungsbereich geht weit über seine sinnliche Wahrnehmbarkeit hinaus. Für eine vollständige Bewertung muss dieser Bereich unter Beachtung der Zusammenhänge zwischen Baulandentwicklung und Verkehrsanbindung betrachtet werden.
Der verkehrliche Wirkungsbereich ergibt sich aus der Zeit, die Menschen bereit sind, für Ihre täglichen Wege aufzuwenden. Diese Zeit beträgt, von Notsituationen abgesehen, ca. 70 Minuten pro Tag. Dieser Wert gilt unabhängig von der Verkehrsmittelwahl, ist seit Jahrtausenden unverändert und gilt mit nur geringen Abweichungen weltweit. Die meisten Menschen unternehmen 3 und mehr Wege täglich, um ihr Leben zu bestreiten. Sobald sich Menschen von ihrem Wohnort fortbewegen unternehmen sie mindestens zwei Wegen, nämlich den Hin- und den Rückweg. Man kann daher einen verkehrlichen Wirkungsbereich von 30 Minuten Wegeradius annehmen. Je nach Verkehrsmittel sind diese Bereiche sehr unterschiedlich, für den Autoverkehr innerorts ca. 15km, den Öffentlichen Nahverkehr ca. 10km entlang der Verkehrslinien, für das Fahrrad ca. 8km und für Fußgänger ca. 3km.
Quellen
[1] https://stadtplan.dresden.de/?TH=UW_LAERM_KFZ_TAN, geöffnet am 28.08.2022 22:11 Uhr